Fachwissen für LeiterInnen

Partizipation

Seitenversion #6 anzeigen
(Diese Version wiederherstellen) 

Geändert: 29. September 2018, 19:49   Nutzer/in: Gerald Stockinger  → Nutzerbild von Gerald Stockinger

Partizipation

Ask the Boys, ask the Girls! Partizipation ist ein wesentlicher Baustein unseres pädagogischen Konzepts. Einerseits eröffnet gelungene Partizipation den Kindern und Jugendlichen Freiräume, ihre Lebenswelten freiwillig selbst zu gestalten. Wo sie in der Lage sind reife Entscheidungen zu treffen, sollen sie auch mitbestimmen. Andererseits sind LeiterInnen aufgefordert, einzugreifen und Grenzen zu ziehen, wo die Entscheidungssituation die Kinder und Jugendlichen überfordert. Die Kunst ist es, die Rahmenbedingungen so auszubalancieren, dass diese einen Raum für eigene Ideen schaffen und die nötige Unterstützung und Sicherheit bei der Umsetzung der Ideen gewährleisten.

Definition

Mitbestimmung (Partizipation, lat. partizipare = teilhaben, Anteil nehmen) bedeutet, dass die Kinder und Jugendlichen Entscheidungen, welche ihr Leben betreffen, durch Mitsprache mitgestalten können.

Warum Partizipation?

Ein selbstbestimmtes Leben zu führen ist ein Menschenrecht (vgl. Kinderrechte). Mitbestimmen will gelernt sein und braucht Übung. Die Kinder und Jugendlichen erlernen dabei schrittweise wichtige Kompetenzen, welche zwei Entwicklungsaufgaben umfassen, nämlich Mitbestimmung und das Vertreten der eigenen Meinung. Partizipationsprozesse unterstützen die Persönlichkeitsentwicklung. Kinder und Jugendliche lernen, wie in Kleingruppen Entscheidungen getroffen werden, welche von allen mitgetragen werden. Dies stärkt das Demokratiebewusstsein und motiviert sie, ihre Lebenswelt aktiv und eigeninitiativ mitzugestalten. Gleichzeitig erwerben sie wichtige soziale Kompetenzen und die Erfolgserlebnisse stärken ihr Selbstvertrauen.

WAGGGS und WOSM betonen in diesem Zusammenhang, dass LeiterInnen Verbündete der Jugendlichen sind, die sie zur Teilhabe und Mitgestaltung an der Gesellschaft motivieren und befähigen. So können die Jugendlichen altersgerecht erfahren, wie sie einen kreativen Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten können.

Aufbauende Lernschritte von den WiWö bis zu den RaRo

Wenn du die Beschreibungen zur Entwicklungsaufgabe "Eigene Meinung" für alle vier Altersstufen liest, wirst du erkennen, dass die Lernschritte aufeinander aufbauen.

  • WiWö lernen ihre eigene Meinung zu äußern und erkennen, dass es verschiedene Meinungen gibt.
  • GuSp lernen ihre Meinung in der Patrulle trotz Gruppendruck zu vertreten.
  • CaEx lernen die Meinung anderer aktiv einzufordern und beginnen eigene und fremde Meinungen und Einstellungen zu hinterfragen.
  • RaRo lernen ihre eigenen Meinungen und Einstellungen kritisch zu hinterfragen und entwickeln eine Bereitschaft zur Selbstreflexion.

Im Bereich der Entwicklungsaufgabe "Mitbestimmung" werden vielfältige soziale Kompetenzen erworben. Die Lernschritte im Bezug auf Partizipation bei den Wichteln und Wölflingen sind die Grundlage, auf der Partizipation bei den Guides und Spähern aufbaut, usw.

  • WiWö lernen ihre Meinung einzubringen, Regeln mitzugestalten und Entscheidungen der Gemeinschaft zu respektieren.
  • GuSp lernen, dass Mitbestimmen auch Mitverantworten heißt. Mitbestimmung bietet ihnen die Chance, Handlungsmöglichkeiten zu erkennen, diese zu gestalten und dabei planvolles und reflektierendes Denken zu üben.
  • CaEx lernen Verantwortung für kooperative Entscheidungen zu übernehmen, diese auszuhandeln und persönliche Vorstellungen besser zu argumentieren.
  • RaRo lernen längere Diskussion durchzuhalten und Entscheidungen mitzutragen, auch wenn sie anderer Meinung sind. Außerdem lernen sie selbstverantwortlich gesellschaftliche Aufgaben zu übernehmen.

Mehr dazu findest du im Kapitel zu den Entwicklungsaufgaben.

Mitbestimmung braucht beides, Übung und Übungsräume, wie das Teamsystem

Alles will gelernt sein: "Gut zu Entscheidungen zu kommen" (Prozess) und "gute Entscheidungen zu treffen" (Ergebnis). Mit der Reifung des Gehirns und den zunehmenden kognitiven und sozialen Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen wächst auch der Umfang der Mitbestimmung bei den PfadfinderInnen. Partizipation braucht Übungsmöglichkeiten, denn die Fähigkeit zur Mitbestimmung wächst mit der Erfahrung.

Einen wichtigen Übungsraum für Mitbestimmung bietet das Element Teamsystem der PfadfinderInnenmethode. Wir arbeiten bei den PPÖ mit verschiedenen Sozialformen. Jede bietet gute Übungsräume für Mitbestimmung: Peer Group (Patrulle), Interessensgruppen und Großgruppe. Aber Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen ist auch auf Ebene der PfadfinderInnengruppe, des Landesverbandes (Landesjugendrat) oder des Bundesverbandes (Bundesjugendrat) möglich und erwünscht.

Gelungene Mitbestimmung der Kinder und Jugendlichen braucht Unterstützung durch Erwachsene

Deine Aufgabe als LeiterIn besteht darin, die Rahmenbedingungen zu definieren, sowie geeignete Methoden anzubieten, so dass eine kreative, selbstverantwortliche Gestaltung des Inhalts durch die Kids möglich wird.Weiters ist es notwendig, dass du weißt, über welche Fähigkeiten und Erfahrungen deine Kinder und Jugendlichen schon verfügen. Nur so kannst du entsprechend die Rahmenbedingungen gestalten und den Kids ein herausforderndes, spaßvolles Lernen ermöglichen.Die Patrulle als Peer-Group hat ein ausgeprägtes Bedürfnis ihre Lebenswelt selbst zu gestalten, doch fällt es den Kindern und Jugendlichen nicht immer leicht zu Entscheidungen zu gelangen, die demokratisch sind und von allen mitgetragen werden. Dafür zu sorgen ist deine Aufgabe. Für alle Altersstufen ist es sinnvoll, den Umfang und Grad der Mitbestimmung der Situation entsprechend zu wählen. Insbesondere Wichtel und Wölflinge bzw. Guides und Späher können noch nicht die ganze Tragweite ihrer Entscheidungen abschätzen.

Die Partizipationsleiter: Umfang und Grad der Mitbestimmung wählen

Die "Leiter der Partizipation" von Roger Hart (siehe Abbildung) beschreibt die unterschiedlichen Level von Mitbestimmung, wobei der Grad der Einbindung der Kinder und Jugendlichen in den Entscheidungsprozess schrittweise zunimmt. Die ersten drei Stufen sind nicht-partizipativer Natur. Diese solltest du vermeiden, da sie unseren Werten nicht entsprechen. Die Stufen vier bis acht sind Gelegenheiten echter Partizipation. Die aufeinander aufbauenden Stufen können von den Kindern und Jugendlichen je nach Reife, Kompetenz und Umfang des Themas bewältigt werden.

  • Für WiWö sind vor allem die Stufen 4 bis 6 relevant
  • Für GuSp sind vor allem die Stufen 4 bis 7 relevant
  • CaEx und RaRo stehen alle Stufen 4 bis 8 zur Verfügung

Beschreibung der einzelnen Stufen:

8. BegleitungVon Jugendlichen initiiert, geteilte Entscheidungen mit LeiterInnen; Projekt wird von den Jugendlichen eigenständig geplant und durchgeführt, LeiterInnen werden ggf. von ihnen als ExpertInnen beigezogen (bspw. RaRo Projekt).Leiter der Partizipation
7. Laissez-faireVon den Kindern und Jugendlichen allein initiiert und durchgeführt; von der Patrulle oder Runde selbst gestaltete Zeit, LeiterInnen unterstützen ggf. bei der Definition des Rahmens (bspw. Lagerfreizeit).
6. KooperationDer Anstoß für eine Aktivität kommt von den LeiterInnen, Entscheidungen und Planung der Aktivität erfolgen durch Kids und LeiterInnen gemeinsam (bspw. GuSp Patrullenaktion, CaEx Unternehmen).
5. BeteiligungDie Aktivität wird zwar von den LeiterInen geplant, aber die Kinder und Jugendlichen werden bei allen wichtigen Entscheidungen einbezogen (bspw. das Thema für eine Heimstunde wird von den Kids ausgewählt, welche dann von den LeiterInnen vorbereitet wird).
4. InformationDie Aufgabe ist fremdbestimmt, aber Kinder und Jugendliche wissen über die Ziele Bescheid und leisten einen echten Beitrag (bspw. Kids bekommen den Auftrag, für den Gruppenflohmarkt Kerzen zu gießen).
3. ScheinpartizipationKinder und Jugendliche dürfen zwar (symbolisch) ihre Meinung kundtun, aber dies hat weiter keine Konsequenzen.
2. DekorationKinder und Jugendliche wirken bei einer Veranstaltung von und für Erwachsene mit, wissen kaum worum es geht und sind bei der Organisation des Anlasses nicht beteiligt.
1. ManipulationFremdbestimmt und nicht informiert. Kinder und Jugendliche werden von Erwachsenen für Erreichung eigener Ziele verwendet, ohne sie über diese fremden Ziele aufzuklären.

Tatsächlich gibt es noch eine 9. Stufe auf der Partizipationsleiter, nämlich die Selbstorganisation. Diese ist Gruppen von Erwachsenen vorbehalten, die keine pädagogische Betreuung mehr brauchen. Selbstorganisation leben wir bspw. in den Landesjungendräten und dem Bundesjugendrat oder im Gruppenrat.

Formen der Mitbestimmung in der Praxis

Es wurde schon erwähnt: Partizipation muss geübt werden. Deshalb ist es sinnvoll, vielfältige Partizipationsformen zu nutzen. Du kannst Kinder und Jugendliche sowohl geplant als auch spontan am Programm mitbestimmen lassen.

  • Regelmäßige Formen der Partizipation wie
    • WiWö-Stufe: WiWö-Forum
    • GuSp-Stufe: Patrullenrat, Trupprat und Truppversammlung
    • CaEx-Stufe: Patrullenrat, Trupprat und Truppversammlung
    • RaRo-Stufe: Charta
  • Geplante aber unaufwändige Partizipationsmöglichkeiten (wie z.B. Auswahlmöglichkeiten bei Spielen)
  • Spontane Partizipationsprozesse (wie z.B. Programmänderung in Absprache mit den Kids, um auf die aktuelle Stimmung in der Patrulle einzugehen)

Die Auswahl aus den zahlreichen partizipativen Möglichkeiten sollte sich an den Wünschen und Interessen aller am Partizipationsprozess Beteiligten orientieren. Besteht kein Anliegen ans Thema, d.h. ist den Kindern und Jugendlichen das Thema nicht wichtig, dann wird die Mitbestimmungsmöglichkeit kaum als Chance wahrgenommen und die Ergebnisqualität ist zweifelhaft. Bei anspruchsvolleren Themen ist es daher notwendig, dass du das Thema altersgemäß aufbereitest, so dass deine Kinder oder Jugendlichen einen persönlichen Zugang zum Thema finden können und ihnen Mitbestimmung zum Anliegen wird.

Die meisten Kinder und Jugendlichen wissen, was sie wollen und kennen ihre eigenen Interessen. Doch manchmal fällt es ihnen schwer, ihre Wünsche zu artikulieren und dafür einzutreten. Dies fällt leichter, wenn jeder Einzelne darauf vertrauen kann, dass die Gemeinschaft gut miteinander umgeht. Achte darauf, dass die Gemeinschaft die Anliegen aller Mitglieder ernst nimmt und achtsam damit umgeht. Das sollen die Kinder und Jugendlichen sowohl während des Programms erleben, als auch durch das Leitungsteam vorgelebt bekommen.

Gelungene Mitbestimmung erfordert einen kooperativ-partnerschaftlichen Führungsstil

Eine wichtige Bedingung für gelungene Partizipation ist dein Wille, sie zu ermöglichen. Insbesondere GuSp- und CaEx-Patrullen sind keine unabhängige Peer-Group, sondern stehen als formelle Gruppe in Abhängigkeit zum Leitungsteam. Dein Respekt für die Sichtweisen der Kinder und Jugendlichen ist daher ebenso Voraussetzung für gelungene Partizipation, wie dein authentischer Wille, auf die Bedürfnisse der Kids einzugehen und die Entscheidungen der Kids mitzutragen. Es besteht also ein enger Zusammenhang mit deinem Leitungsstil. Der Spielraum, den du den Kids für ihre Mitsprache einräumst, wird dabei durch zwei Dimensionen begrenzt: Rahmen und Inhalt.

  • Der Rahmen umfasst unter anderem Regeln, Strukturen, Zeitvorgaben, etc.
  • Der Inhalt meint die Auswahl von Aktivitäten, die Themenentscheidungen der Kids, die Wahl eines/r Sprechers/in, etc.

Die Chance für gelungene Partizipation ist dann am höchsten, wenn du als LeiterIn den Rahmen ausreichend klar vorgibst, aber möglichst viel Freiheiten lässt, was die Inhalte angeht (vgl. WOSM Youth Involvement Toolbox). Begründung: Vorgaben den "Rahmen" betreffend geben den Kinder und Jugendlichen die nötige Sicherheit und Orientierung, um in den "Inhalten" initiativ und kreativ zu werden. Dieses Leitungsverhalten entspricht in Beziehungen mit pädagogischer Absicht einem kooperativen, partnerschaftlichen Führungsstil.



RAHMEN


Vorgaben durch LeiterIn
an den Rahmen

KEINE Vorgaben durch LeiterIn
an den Rahmen

INHALT

Vorgaben durch LeiterIn
an den Inhalt

Gefahr der Bevormundung, fehlende Möglichkeit zu Initiativen

Tendenz zur Manipulation bzgl. Inhalt

KEINE Vorgaben durch LeiterIn
an den Inhalt

Idealraum für Partizipation

= Kooperativer, partnerschaftlicher Führungsstil

Laissez-faire, fehlende Orientierung

Fast ape – ein Werkzeug für LeiterInnen, um Partizpationsprozesse gut zu begleiten

Mitbestimmung ist sowohl für die Kinder und Jugendlichen als auch für uns LeiterInnen herausfordernd. Fast ape ist ein Werkzeug, das dich unterstützt Partizipationsprozesse gut zu begleiten. Fast ape ist die Abkürzung für die 4 Dimensionen von Rahmen und Inhalt (F = Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen, a = Athmosphäre in der Kleingruppe, s = Strukturen, die Mitbestimmung erleichtern (bspw. Gesprächsreglen, Themenliste), t = Thema) und die 3 Schritte eines Partizipationsprozesses (A = Ausgangslage der Kleingruppe einschätzen, p = Prozess gestalten, e = Evaluieren der Qualität des Prozesses). Ursprünglich wurde das Werkzeug für die GuSp-Arbeit entwickelt, jedoch ist es für alle Altersstufen hilfreich. Insbesondere erleichtert es die Planung, Durchführung und Reflexion von Partizipationsprozessen:

  • Fast ape stellt in drei Schritten (in den drei Spalten) Einschätzungsfragen zur Beurteilung der Gruppe, die partizipieren soll
  • Fast ape gibt Hinweise für die Planung und Gestaltung des Partizipationsprozesses
  • Fast ape hilft zu beurteilen, wie erfolgreich ein Partizipationsprozess war, um daraus für die Zukunft zu lernen

Das Fast ape Werkzeug findest du im GuSp Grünton "Partizipation - Kids reden mit"

Quellen

Weiterführendes